Bewegung

Vielfalt zeigen: Queere Menschen in der Kirche

Rut Neuschäfer und Rainer Teuber

September 2022

PRÄDIKAT WERTVOLL
Bistumsmitarbeiter Rainer Teuber und Lehrerin Rut Neuschäfer setzten sich für die Gleichberechtigung queerer Menschen ein

Sie möchten zeigen, wie vielfältig die Menschen in der Kirche sind. Demonstrativ halten Religionslehrerin Rut Neuschäfer und Bistumsmitarbeiter Rainer Teuber im Kreuzgang des Essener Doms die Regenbogenflagge hoch. Sie ist ein Symbol für die Gleichberechtigung von Schwulen, Lesben, non-binären Personen, Transmenschen und von all denjenigen, die in anderer Weise queer sind. Dazu gehören auch viele Katholikinnen und Katholiken. 125 von ihnen gingen zu Beginn des Jahres an die Öffentlichkeit. In der ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ erzählten Erzieherinnen, Sozialarbeiter, Gemeindereferentinnen, Diakone und Priester, wie die Kirche mit ihnen umgeht. Sie berichteten von der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, von tiefen Verletzungen und jahrzehntelangem Versteckspiel. Gegen das ungerechte System der Kirche kämpfen viele von ihnen seitdem mit der Initiative „Out in Church“.

BENE: Herr Teuber, die Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ hat bundesweit für viel Aufsehen gesorgt. Wie hat die Kirche darauf reagiert?

Rainer Teuber: Die Amtskirche reagiert – wie so oft – wohl nur auf starken Druck. Elf Bistümer, darunter auch das Bistum Essen, haben kurz nach der Ausstrahlung der Doku erklärt, dass die kirchliche Grundordnung nicht mehr angewendet werden soll.

Was besagt die kirchliche Grundordnung?

Teuber: Für Mitarbeitende in katholischen Einrichtungen gilt ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht. Sie müssen die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre nicht nur im Beruf, sondern auch im Privatleben beachten. Nichtheterosexuelle Beziehungen, insbesondere das Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Ehe, widersprechen dieser Lehre. Wenn also zum Beispiel ein Mitarbeiter der Kirche einen Mann heiratet, kann er dafür die Kündigung bekommen.

Diese Grundordnung wird jetzt von einer Kommission gründlich überarbeitet. Sind Sie mit dem neuen Entwurf zufrieden?

Teuber: Mit dem neuen Entwurf für die kirchliche Grundordnung wird das Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Ehe wohl kein Kündigungsgrund mehr sein. Aber es gibt noch keine Rechtssicherheit, auch wenn die Diözesen schriftlich zugesichert haben, dass sie die Grundordnung derzeit nicht mehr anwenden. Wir vermissen bei der Überarbeitung des Entwurfs auch die Berücksichtigung der speziellen Bedürfnisse der Transmenschen.

Welche sind das?

Rut Neuschäfer: Transmenschen geht es um ihre offizielle Anerkennung. Sie wollen im Taufregister der Kirche mit dem Geschlecht stehen, mit dem sie sich identifizieren, und nicht mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.

Frau Neuschäfer, Sie arbeiten seit fast fünf Jahren an einer staatlichen Gesamtschule in Gelsenkirchen als Lehrerin für Englisch, Spanisch und katholische Religion. Mussten Sie als lesbische Frau Angst um Ihren Arbeitsplatz haben?

Neuschäfer: Es gab immer wieder Situationen, in denen ich nicht wusste, wie ich mich verhalten soll. Ich bin im Vorstand von „FrauenLiebe im Pott“. Auf der Internet-seite des Vereins sollte ein Foto von mir gezeigt werden. Ich habe mich gefragt, was passiert, wenn eine Schülerin oder ein Schüler das Bild sieht. Vielleicht verpetzt sie oder er mich beim Bistum, wenn ich ihr oder ihm eine schlechte Note gebe.

Haben Sie in Ihrem Religionsunterricht über das Thema Liebe gesprochen?

Neuschäfer: Das war ein Drahtseilakt. Ich habe in meinem Unterricht die Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare thematisiert, ohne direkt über mich zu sprechen. Die Reaktionen darauf waren äußerst interessant. Einer der Schüler war der Ansicht, dass Homosexualität gegen die Natur sei und dass es gar keine Menschen gebe, die homosexuell und katholisch seien. Zum Glück hat er direkt viel Widerspruch von seinen Mitschülerinnen und Mitschülern bekommen.

An Ihrer Schule wusste also niemand, dass Sie lesbisch sind?

Neuschäfer: Bei einigen Kolleginnen und Kollegen habe ich mich geoutet. Außerdem habe ich mit der Klasse, die ich als Klassenlehrerin betreue, über meine Sexualität gesprochen. Das war allerdings nicht geplant. Es gab eine Schülerin in der Klasse, die sich als bisexuell geoutet hatte. Sie sagte, sie könne mit ihren Eltern nicht darüber sprechen, da diese Bisexualität für eine Sünde hielten. Ich dachte, wenn ich der Schülerin sage, dass ich ihre Situation verstehe, hilft ihr das vielleicht.

Nicht heterosexuelle Menschen bringen neue Perspektiven in Kirche und Gesellschaft ein. Können Sie uns dafür ein Beispiel geben?

Neuschäfer: Gern. Ich bringe in meinen Religionsunterricht andere Aspekte ein als jemand, der nicht so lebt oder denkt wie ich. Das ist doch etwas sehr Wertvolles. Schließlich möchte ich meine Schülerinnen und Schüler zu reflektierten Menschen erziehen, die dazu in der Lage sind, ihren Horizont zu erweitern. Das geht nur, wenn sie verschiedene Perspektiven kennenlernen. Dabei kann ich ihnen helfen.

Was fordern Sie von der Katholischen Kirche?

Teuber: Wir fordern, dass nicht-heterosexuelle Menschen angstfrei in der Kirche leben können und als wertvolle Bereicherung der Gesellschaft angesehen werden. Wir wollen, dass ihnen Zugang zu allen Ämtern und Berufsfeldern eröffnet wird. Und wir fordern, dass gleichgeschlechtliche Paare und Geschiedene, die ein zweites Mal heiraten, gesegnet werden dürfen. Außerdem soll Homo- oder Transsexualität von der Kirche
nicht mehr als Sünde bewertet, sondern als Ausdruck der Vielfalt von Gottes Schöpfung akzeptiert werden.

Es geht der „Out in Church“-Gemeinschaft auch um ein Schuldanerkenntnis.

Teuber: Ja, genau. Verantwortliche Personen in dieser Kirche haben über Jahrzehnte Biografien nicht-heterosexueller Menschen beschädigt, manche von ihnen gar in den Suizid getrieben. Für sie kommt „Out in Church“ zu spät. Wir erwarten ein Schuldanerkenntnis und eine Aufarbeitung, die klärt, wie es zu diesem angstmachenden System kommen konnte.  

Worauf hoffen Sie noch?

Neuschäfer: Es ist wichtig, dass nicht-heterosexuelle Beziehungen in den Medien und in der Öffentlichkeit gezeigt werden, damit sie endlich als normal gelten.

Teuber: Das Ziel der freien Gesellschaft sollte es sein, dass man sich nicht mehr outen muss. Die Frage nach der sexuellen Identität oder Orientierung sollte vollkommen überflüssig sein.

Das Gespräch führte Kathrin Brüggemann.

www.outinchurch.de

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